VORWORT: Die Schallplatten von M. Walking On The Water waren während ihrer Independent-Zeit bei dem Label FUEGO im Vertrieb der Firma Rough Trade in Herne. Der Kontakt zwischen der Gruppe und dem Vertrieb war immer eng. Auch der Kontakt von Fuego war tief mit der Geschichte von Rough Trade Deutschland verbunden, da Friedel Muders, der Besitzer von Fuego einer der Gründungsmitglieder dieses Independent-Vertriebes war. In den Anfängen machte er für sie die komplette Produktionsabwicklung, in späteren Jahren für lange Zeit alle grafischen Arbeiten und Schallplattencover. Daher ist M. Walking On The Water ebenso wie ihr Manager Friedel Muders immer eng mt dem Namen und besonders mit dem 'Herzblut' zu Rough Trade verbandelt. Als sich die Firma immer mehr wandelte und nun sogar ihr Name komplett verschwindet und nur noch Geschicte ist, schrieb Karl Bruckmaier in der Süddeutsche Zeitung einen 'Abschiedsartikel', den wir hier wiedergeben, da er auch unsere Empfindungen trifft.

"Viele Hasen sind des Igels Tod"

Das Musik-Label "Rough Trade" ist endgültig aus dem Popgeschehen verschwunden.


In alten amerikanischen Spielfilmen kommt an dieser Stelle meistens ein älteres Männchen im Overall ins Bild: es hat ein paar Pinsel dabei, einen Farbtopf und einen Satz Schablonen. Das Kerlchen kurz vor der Pensionierungsgrenze macht sich dann an einer Milchglasscheibe zu schaffen, schabt, kratzt, pinselt an der Tür herum, hinter der bald ein neuer Bürohengst wiehern wird, gern der Hauptdarsteller des Films, der nach der unvorhergesehenen Beförderung sein Mädchen endlich heiraten kann.

In Herne und Köln wird heute nicht einmal solch ein grauer Statist durchs Bild schlurfen, wenn aus Rough Trade Deutschland Zomba wird: Erstens sollen dieselben Hengste weiterwiehern wie bisher, zweitens ist der Namenswechsel nur noch eine kosmetische Maßnahme zur Homogenisierung eines international tätigen Musikkonzerns; Rough Trade ist zu 80 % im Besitz der Zomba Music Group, seit die amerikanische Firma 1996 den damaligen Rough-Trade-Mehrheitseigner Pinnacle in Großbritannien übernahm. Zomba pickte sich damit halbwegs funktionierende Vertriebs- und Marketing-Unternehmen heraus, die ein zukunftsträchtige Europa-Basis abgeben sollten für die auf den Zomba-Labels Jive und Silvertone produzierten Unterhaltungskünstler wie R. Kelly oder Tupac Shakur. 1999 ist es nun endgültig soweit: Zomba feiert weltweite Umsatztriumphe mit den Backstreet Boys und Britney Spears: Wenn einem so viele Nummer-Eins-Hits beschwert werden, da mag man mit dem eigenen Namen nicht länger hinterm Berg halten ­ Australien, Frankreich und Kanada erhalten eigenständige Zomba-Marketingsbüros, in Deutschland ist der Juniorpartner Rough Trade mit seinen 140 Mitarbeitern fällig für die Neutaufe und einen teilweisen Umzug vom provinziellen Herne in das Provinz-Hollywood Köln.

Was sich liest wie die Kurzbeschreibung der Umstrukturierung eines mittelständischen Unternehmens, ist eine solche ­ und doch so viel mehr. 1976 eröffnete in London ein Plattenladen mit dem Namen Rough Trade und wurde umgehend zur Anlaufstelle für alle Musiksonderlinge der Stadt, eine Informationszentrale für Punks, Reggae-Fans, Elektronik-Obskuranten, wo man seinen selbstfinanzierten Singles vorbeibringen konnte, die Eigenbau-Singles von Gleichgesinnten zu hören bekam und diese Gleichgesinnten vor und hinter dem Tresen gleich mit traf, Geoff Travis, der Gründer des Ladens, war einfach der richtige Mann am richtigen Ort zur rechten Zeit. Punk begann; die Unzufriedenheit mit der Musik der Unterhaltungskonzerne kulminierte; eine neue Musik sucht sich ihre passende Struktur, und aus dem Laden ging schnell ein Label hervor, dessen Veröffentlichungen das Wetterleuchten jenes Phänomens waren, das bald Independent Music heißen würde. Die großen Firmen sicherten sich zwar in teils absurden Marketingschlachten die Rechte an den Stars der neuen Szenen ­ Sex Pistols, Clash ­ aber bei Rough Trade spielte die Musik der Zukunft: Stiff Little Fingers, Television, Personalities, Slits, Raincoats, Scritti Politti, Cabaret Voltaire. Krachiger Punkrock fand Platz neben minimalistischen Lärmorgien, frei assoziierten Pop-Phantasien erschienen parallel zu Klangexperimenten mit Küchengerätschaften und einer Rhythmusbox. Wo Rough Trade draufstand, war Freiheit drin, und diese ungeahnten Möglichkeiten inspirierten europaweit vom brennenden Zürich bis ins häuserbesetzte Berlin die bisher Chancenlosen im Musikgeschäft, die Dinge selbst in die Band zu nehmen. Bands gründeten sich, Labels entstanden, neue Vertriebsformen und Formate wurden durchgetestet ­ und jede Rough Trade-Platte kaufte man blind. Das Label und der Laden wurden zur Blaupause einer kulturellen Revolte; für jede Gruppe, die zu den Multis wechselte, waren gleich fünf neue, spannende zur Hand. Das Hase-und-Igel-Spiel schien kein Ende zu nehmen, aber der baldige Tod der Hasen CBS, EMI oder Phonogram war beschlossene Sache.

1982 gründete Rough Trade in Zusammenarbeit mit einem deutschen Importeur Rough Trade Deutschland, gerade rechtzeitig, um den ersten kommerziellen Erfolg der Label-Geschichte miterleben zu können: "Blue Monday" von New Order wurde ein Riesenhit: die Probleme einer idealistischen Kleinstfirma im Handling großer Umsätze und Stückzahlen deuteten sich damit erstmals an. Rough Trade expandierte, wollte sich vor allem auf dem amerikanischen Markt etablieren ­ ein Faß ohne Boden, wie sich herausstellen sollte.

In Europa dagegen florierte das inzwischen gänzlich zum Geschäft gewordene Unternehmen, auch wenn in der Retrospektion bewundernd festgestellt werden muß, daß es über die Jahre keine vergleichbare Firma dieser Größe gab, die ein derart breites, engagiertes und freizügiges Musikprogramm repräsentierte wie Rough Trade: Die Firma veröffentlichte oder betreute The Smiths, die Pixies, Soul Asylum und Happy Mondays und schaffte es durch Zusammenarbeit mit neuen angesagten Labels, nicht den Anschluß an jenseits von Punk und New Wave anzusiedelnde Strömungen zu verlieren: 4AD, Rhythm King, Factory, One Little Indian ­ all diese Labels hatten Platz im Bauch des Independent-Mutterschiffs Rough Trade. Vor fast zehn Jahren sank dann der Dampfer bei blendenden Umsatzzahlen: Die Zahlungsunfähigkeit des Großhändlers Cartel und die Investitionen in das Amerika-Geschäft ließen Rough Trade über Nacht pleite gehen. Rough Trade Deutschland, wirtschaftlich intakt, machte unter altem Namen als Vertriebsfirma weiter, obwohl die Rechte am etablierten Markenzeichen urplötzlich nicht mehr bei ihnen lagen, sondern mit der Konkursmasse verscherbelt wurden. Das Geschäft mit der Popmusik, ohnehin eines der geschichtslosesten, lief also weiter, auch ohne all die epochalen Rough Trade-Platten im Back-Katalog, dafür mit eigenem, auf Deutschland zugeschnittenem Label Our Choice, mit Techno und Dance Music und immer noch mit Vertriebsdeals, die den guten Ruf von Rough Trade in Musiker- und Journalistenkreisen unangetastet ließen: Palace und Smog, Royal Trux und Aphex Twin ­ im Zweifelsfall waren gute CDs im Rough Trade-Programm zu finden. Und eher idealistische Projekte wie Hörspiel-CDs, Theatermusiken und der Import der Musik amerikanischer Kleingruppen, trugen zur Glaubwürdigkeit bei ­ nein, Rough Trade in den 90er Jahren mutierte nicht zur zweiten Virgin, vergaß sich nicht im Gewimmel von Umsatztabellen und Gegenwartsduselei ­ und bewies Kompetenz im Umgang mit dem ganz großen Geschäft.

Dann, wie oben schon erwähnt, kam Zomba. Und jetzt ist der Name Rough Trade weg. Die Geschäftsführer und Miteigner, der Leiter der Promotion-Abteilung, die anderen langjährigen Mitarbeiter, alle beteuern, dies sei nur eine formale Aktion, die inhaltliche Glaubwürdigkeit sei ja bereits durch die personelle Kontinuität auf fast allen Ebenen der Firma gewährleistet. Und das Verschwinden der eben idealistischeren Kleinprojekte, die Aufkündigung langjähriger Beziehungen mit schwierigen Musikern und Musiken, habe mehr damit zu tun, daß der Konzentrationsprozeß auf dem deutschen Tonträgermarkt nahezu abgeschlossen sei und zehn Abnehmer bundesweit für 80 Prozent des Umsatzes sorgen. Und die bestellten eben Britney Spears und nicht Ton-Collagen von Andres Ammer. Wir wissen, daß einem der Schneid auch scheibchenweise abgekauft werden kann. Aber selbst wenn sich an der unter dem Strich guten Arbeit von Rough Trade Deutschland unter dem neuen Namen Zomba nichts ändern sollte: Fernab von seinem Entstehungsort London, an einer Tür in Herne, verschwindet heute der Name Rough Trade aus dem Popgeschehen und mit ihm der letzte Abglanz eines einst großen Versprechens. Und was noch mehr ist: eines gehaltenen Versprechens. Gerade deshalb sind ein paar Menschen heute sehr traurig.

Karl Bruckmaier | Süddeutsche Zeitung1. Juli 1999
Mit freundlicher Genehmigung!


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